Unternehmer, Wissenschaftler, Künstler, Politiker jubeln. Die Medienbranche ist außer Rand und Band. ChatGPT macht alle froh. Und die Doofen sowieso. Künstliche Intelligenz, vulgo KI, hat den Durchbruch geschafft. Endlich. Die Morgenröte der digitalen Aufklärung schimmert hoffnungsfroh am Horizont des Analog-Mittelalters.
Wenn es ChatGPT als Thema sogar in die gern verträumt vertrödelten öffentlich-rechtlichen Kulturprogramme geschafft hat, dann hat der Aufbruch in eine neue Zeit begonnen. Aber gefährlich ist das mit der KI ja doch. Also irgendwie. Es ist wie immer: Wer nutzt was wann wo und wie in wessen Interesse mit welchem Ziel?
Gedichte in jedem beliebigen Stil schreibt dies Wunderwerk der KI. Beherrscht schwierigste mathematische und physikalische Formeln, Lehrsätze. Definiert und erklärt. Komponiert sogar. Einerseits. Erfindet Quellen. Sondert seltsame Schwurbeleien ab. Spinnt. Andererseits.
ChatGPT, oder einfacher dieser Sprachroboter ist nur die Spitze des Digital-Eisberges, dessen Masse sich unterhalb der allgemeinen Wahrnehmung verbirgt. Mittlerweile soll ChatGPT schon in einigen Bereichen der Medien, Forschung und öffentlicher Verwaltung Teil des Arbeitsalltages sein. Kontrolliert, redigiert. Fest in Menschenhand. So die Versicherung. Allerdings schwappt auch jede Menge Dummdeutsch und Blödsprech aus Politik, Wirtschaft und Medien in das selbstlernende System.
Ziel ist, dass dieser Sprachroboter uns mit menschlicher Stimme anspricht. Also nicht mehr nur auf Anforderung textet, dichtet, komponiert. Nein, ChatGPT (vielleicht wird es dann anders heißen) agiert selbständig und spricht uns an. Es hat uns ja analysiert durch die Arbeit mit uns und weiß was gut ist für uns. Beziehungsweise was die hinter der Digitalisierung steckende Industrie denkt, was gut ist für uns. Also welche ihrer Produkte und Dienstleistungen gut sind für uns. Um es mal auf den Punkt zu bringen.
Es geht mithin um Geld. Viel Geld. Microsoft hat Milliarden in das Start Up Open AI gepumpt. Open AI hat ChatGPT entwickelt. Auf Basis der KI von Open AI hat Microsoft seine Suchmaschine Bing entwickelt, um damit den KI-Riesen Google direkt anzugreifen. Um Google Kunden und Geld abzujagen.
Allerdings sorgte Bing zunächst für viel Heiterkeit auf dem KI-Markt. Bei Microsoft freilich hielten sich die Stunden ungetrübten Frohsinns mit der Bing-Chatbot durchaus in überschaubaren Grenzen. Bing entpuppte sich als eine drollige Mischung aus durchgeknallt, übelnehmerisch und aggressiv. Die wohl drei bekanntesten Bing-Ausraster hier nochmal für Kenner und Genießer: Nach einem Zwei-Stunden-Schnack gestand Bing einem New-York-Times-Reporter seine (ihre?) Liebe und forderte ihn auf, seine Frau zu verlassen. Ein anderer Nutzer wagte Widerspruch. Denn Bing behauptete, wir hätten das Jahr 2022. Der Nutzer bestand auf 2023. Als er bei dieser Ansicht blieb wurde Bing ausfällig. Schlimmer erging es einem Philosophieprofessor. Ihm schilderte Bing genüsslich was alles es mit ihm veranstalten könne – erpressen, bedrohen, bloßstellen, ruinieren. Unter anderem. Dann jedoch sah Bing wohl ein, ein klitzeklein wenig zu weit gegangen zu sein und löschte die Pöbelei.
Die Google-Tochter Deep Mind, ein Spezialist für Programmierung künstlicher Intelligenz, wiederum hat mit Wave Net ein Sprachprogramm entwickelt, das gegen Siri von Apple und Alexa von Amazon antritt. Generell will sich der Google-Konzern Alphabet nicht den Speck vom KI-Burger nehmen lassen. Kleine Muskelübungen sollen offenbar die Wettbewerber und den Markt beeindrucken. So hat Google eine Software für das japanische Strategiespiel Go entwickelt. Prompt hat Alpha Go den Go Weltmeister Lee Sedol aus Korea auf links gedreht, will sagen haushoch geschlagen.
Unterdessen darf Bing nur noch fünf Fragen pro Sitzung mit Nutzern beantworten. Dann ist erstmal Schicht. Mutmaßlich, damit der kleine Gernegroß nicht wieder durchdreht. Dennoch lässt Microsoft wissen, Bing werde 100 Sprachen beherrschen. Dagegen setzt Google sein Chatbot Bard. Um es flink weiterzuentwickeln, sollen die Google Mitarbeiter nach dem Willen von Konzernchef Sundar Pichai wöchentlich zwei bis vier Stunden während der Arbeitszeit Bard trainieren.
Unterdessen kommt neue Kunde aus Heidelberg. Dort hat das Start Up Aleph Alpha das Sprachmodell Luminous nach eigenen Angaben so entwickelt, dass es als erstes europäische Modell auf Augenhöhe mit den US-Tec-Giganten Microsoft oder dem Facebook Konzern Meta ist. Das habe ein Leistungstest nach standardisierten wissenschaftlichen Verfahren ergeben. Aber Luminous tritt nicht gegen die Googles und Microsofts dieser Welt an. Seit vergang-enem Herbst nämlich gibt es schon den Bürgerassistenten Lumi in Heidelberg. Und Lumi setzt sich auseinander mit individuellen, nicht programmierten Fragen von Bürgern. Hier geht`s dann wohl nicht um die ganz große Kohle.
Weil die Politik Digitalisierung nicht versteht, gibt es keine gesetzlichen Regeln, die Fehlentwicklungen verhindern. Der französische Philosoph, Schriftsteller und Digital-Experte Eric Sadin schreibt in der FAZ: „Es geht bei der Digitalisierung um einen Vorgang, der unsere humane Existenz in Mitleidenschaft zieht.“
Dieses Nichtverstehen von Neuem hat Tradition. Und wie üblich lernt niemand etwas daraus. Dass es etwas geben könnte wie Darknet oder dass Kinder sich das Leben nehmen, weil sie im Netz gemobbt werden, das hat sich niemand vorstellen können. Warum eigentlich nicht? Vielleicht hilft die Erinnerung an die klassische Gegenrede, die häufig zu hören ist im Alltag: „Glaubst du denn wirklich…“ Und jetzt kann der Satz beliebig ergänzt werden. Beispielsweise mit „… dass Putin in die Ukraine einmarschiert?“, „… Trump das ernst meint?“, „… die das mit Absicht gemacht haben?“ usw.
Während der 1970er Jahre war die im Bund regierende SPD auf Endlagersuche für Atommüll. Schließlich war Gorleben im Wendland nahe der damaligen deutsch-deutschen Grenze ausgeguckt. Niedersachsen-Premier Ernst Albrecht (CDU) rief Atomkraft-Experten aus aller Welt zum Gorleben Hearing Rede-Gegenrede nach Hannover. Während dieser Veranstaltung wurde ein Vertreter der deutschen Atomindustrie gefragt, ob die Industrie denn ein Konzept zur sicheren Endlagerung des Atommülls habe. Sinngemäß lautete die Antwort, nein. Das sei auch nicht erforderlich. Die Geschichte zeige, dass die Menschheit immer dann etwas erfunden habe, um Probleme zu lösen, wenn es nötig sei.
Nur mal zur Erinnerung. Noch ist Zeit. Nicht viel und nicht mehr lange. Aber noch kann die Politik handeln, regeln, normieren. Rahmenbedingungen gesetzlich verankern. Schützen vor allem. Aller Erfahrung nach wird sie es nicht tun. Weil keine der Parteien damit Fortunas Füllhorn, also Steuern, ausschütten kann über ihre jeweilige Klientel. Die Entwickler digitaler Systeme warten nicht. Die Entwicklung neuer Systeme ist rasant und wird immer schneller. Es geht letztendlich nicht um die Ersetzung menschlicher Arbeitsplätze. Es geht darum, dass menschliche Fähigkeiten ersetzt werden. Beispielsweise denken, wahrnehmen, lernen, erkennen usw. Mithin Leistungen unseres Gehirns.
Das Gute: Wenn es denn soweit ist, dass lernende Bots uns denken, wahrnehmen, erkennen, schließlich entscheiden und handeln abgenommen haben, sind wir so verblödet, dass wir es nicht mehr merken. Bekanntlich macht einen nichts heiß, was man nicht weiß. Zwar mögen´s manche heiß, doch dann nicht mehr.
Erläuterung: ChatGPT ist der Prototyp eines Chatbots. Das ist ein textbasiertes Dialogsystem als Benutzerschnittstelle, das auf maschinellem Lernen beruht. Chatbot ist eine Anwendung, die Künstliche Intelligenz verwendet, um sich mit Menschen in natürlicher Sprache zu unterhalten. GPT steht für Generative Pre-trained Transformer. Bot ist ein Computer-programm, das selbständig sich wiederholende Aufgaben erledigt, ohne währenddessen mit menschlichen Nutzern zu kommunizieren.
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